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Wie ist das Klaasohm-Fest auf Borkum wirklich?

 Die Borkumer Tradition war und ist stetig im Wandel

Das Klaasohm-Fest, ein seit rund 200 Jahren gefeiertes Brauchtum der Nordseeinsel Borkum, steht derzeit im Mittelpunkt einer hitzigen öffentlichen Debatte. Auslöser war ein Beitrag des NDR-Formats Panorama – die Reporter unter dem Titel „Das Schweigen der Insel – Wenn Borkum Klaasohm feiert“. Der Bericht zog eine intensive Diskussion nach sich, die durch soziale Medien und Plattformen wie YouTube zusätzlich weitergeleitet, weiterverarbeitet und verstärkt wurde. Neben einem Shitstorm in den sozialen Netzwerken sehen sich der veranstaltende Verein, Verein Borkumer Jungens e.V. 1830, die Stadt Borkum und weitere Institutionen, wie die Tourismustochter Nordseeheilbad Borkum GmbH (NBG) und die Borkumer Medien der Insel mit E-Mails, Kommentaren und sogar Urlaubsabsagen konfrontiert. Insulanerinnen und Insulaner werden ohne tiefergehende Kenntnisse persönlich angefeindet.

Identität und Integrität der Insel stehen auf dem Spiel

Der NDR-Bericht über das Insulaner-Fest hat damit kontroverse Reaktionen ausgelöst, die in zahlreichen Kommentaren und Abwertungen in sozialen Medien und per Mail zum Ausdruck kamen. Sowohl die Redaktion von Borkum-Aktuell – Das Inselmagazin und der wöchentlichen Inselzeitung „Borkumerleben“ als auch die Stadt Borkum und der Verein Borkumer Jungens e.V. 1830, die für die Durchführung der Klaasohm-Tradition verantwortlich sind, arbeiten derzeit daran sich der Welle von Kritik und Fragen zu stellen. „Selbstverständlich ist auch bei uns die Reportage angekommen. Angesichts der massiven negativen Resonanz möchten wir als Verein ein Statement abgeben. Sowohl für den Verein als auch für die Inselgemeinschaft ist es von größter Bedeutung, dass Klaasohm nicht zu einem öffentlichen Festival für Außenstehende wird – weder für Kritiker noch für Befürworter. Wir merken, dass die Reportage, die ein verzerrtes Bild des Festes zeichnet und zahlreiche journalistische Ungenauigkeiten enthält, das Ergebnis der Ablehnung sämtlicher Anfragen unsererseits ist. Es ist bedauerlich, dass daraus etwas entstanden ist, das weder der starken Inselgemeinschaft noch unserem Fest gerecht wird. Deshalb müssen wir uns auch hinterfragen, ob unsere Zurückhaltung gegenüber den RedakteurInnen für diesen Bericht die richtige Entscheidung gewesen ist – im Nachhinein sehen wir das als Verein in einem anderen Licht und hätten von vornherein unterstützend mitwirken können“, zeigt sich der Vorstand selbstkritisch.

Ein Fest mit Geschichte und Wandel

Das „Klaasohm“-Fest, das auf eine fast 200-jährige Tradition des 1830 gegründeten Vereins zurückblickt, hat für die Bewohnerinnen und Bewohner der Nordseeinsel eine besondere Bedeutung. Es steht in erster Linie als Symbol des Zusammenhalts und Fest der Gemeinschaft, dessen Durchführung in einer touristischen geprägten Zeit nicht möglich ist. Historisch gesehen ist das Fest mit den Bräuchen aus der Zeit des Walfangs verbunden und wie viele andere Brauchtümer mit den Eigenarten der eigenen alten Traditionen verknüpft, die im heutigen Zeitgeist und der Sicht Außenstehender kontrovers wirken können. Doch wie viele andere Traditionen hat sich auch „Klaasohm“ über die Jahrzehnte verändert. Seit mehreren Jahren bereits unterliegt die Durchführung einem Wandel, der sich gegen die Anwendung von Gewalt, insbesondere gegen Frauen ausspricht. „Das Fest, wie wir es heute feiern, hat wenig mit dem zu tun, was in manchen Darstellungen, auch der interviewten Personen, vermittelt wird“, erklärt der der Vorsitzende (Oldermann) des Verein Borkumer Jungens e.V. 1830, der für die Organisation verantwortlich ist.

Gegen jede Form von Gewalt

Es ist wichtig anzuerkennen, dass in der Vergangenheit – und in Einzelfällen auch in den letzten Jahren – dieser Teil des Brauchtums, bei dem Frauen mit einem Kuhhorn auf das Gesäß geschlagen wurden, dazu gehört hat. „Wir distanzieren uns ausdrücklich von jeder Form der Gewalt gegen Frauen und entschuldigen uns für die historisch gewachsenen Handlungen vergangener Jahre. Wir können nicht abstreiten, dass dies in der Vergangenheit ein Aspekt des Festes war“, sagt der Verein. „Dieser Teil der Tradition hat jedoch nie den Kern des Festes ausgemacht, sondern war lediglich ein minimaler Bestandteil, der in den letzten Jahren fast gar nicht mehr durchgeführt wurde.“ Das dies, wie im Bericht zu sehen ist, leider doch vereinzelt in Ausnahmefällen passiert, ist sich der VBJ seiner Verantwortung bewusst und wird es zukünftig konsequent verbieten: Der Verein wird den Brauch des „Schlagens“ vollständig abschaffen. Wir als Gemeinschaft haben uns klar dazu entschieden, diesen Aspekt der Tradition hinter uns zu lassen und den Fokus weiter auf das zu legen, was das Fest wirklich ausmacht: den Zusammenhalt der Insulanerinnen und Insulaner.“

Kein touristisches Fest

Anders als viele andere Brauchtumsfeste hat Klaasohm keinen touristischen Anspruch. Es dient vielmehr dazu, den Abschluss einer langen und anstrengenden Saison zu feiern – ein Tag, der allen Insulanerinnen und Insulanern gleichermaßen gehört. „Wir verstehen die Kritik an den in der Reportage gezeigten Szenen und fühlen uns verpflichtet, weitere Veränderungen herbeizuführen. Klaasohm soll ein Fest sein, das die Werte der heutigen Zeit widerspiegelt. Gewalt, in welcher Form auch immer, hat keinen Platz in unserem Brauchtum. Klaasohm ist ein Fest für die gesamte Inselgemeinschaft – für Frauen, Männer und Kinder gleichermaßen. Bereits vor der Veröffentlichung der Reportage hatten wir einen Bericht in plattdeutscher Sprache in Borkumerleben verfasst, um die Inselgemeinschaft auf Klaasohm einzustimmen. Nun fühlen wir uns verpflichtet, unser Fest transparenter zu gestalten, Missverständnisse aufzuklären und die Wogen zu glätten. Wir rufen dazu auf, sich selbst ein aktuelles Bild zu machen. Das Fest stammt aus einer Zeit, die weit zurückliegt. Unabhängig von seiner Herkunft und seinem ursprünglichen Hintergrund befindet sich Klaasohm seit mehreren Jahren in einem Wandel“, schreibt der Vereinsvorstand. „Dieser Prozess hat lange vor der Veröffentlichung der Reportage begonnen und wird konsequent fortgesetzt.“

Der Wandel der Tradition

Die Borkumerinnen und Borkumer betonen, dass das Fest sich stetig weiterentwickelt hat. Insbesondere in den letzten Jahrzehnten wurde viel Wert daraufgelegt, dass die Tradition zeitgemäß interpretiert wird. „Klaasohm ist heute ein Gemeinschaftsfest, bei dem alle Insulanerinnen und Insulaner im Mittelpunkt stehen – Jung und Alt, Frauen und Männer gleichermaßen“, ergänzt der „Oldermann“ (Vorsitzende) des Vereins. Die zentrale Bedeutung des Festes liegt nicht in der äußeren Wahrnehmung, sondern im Erhalt der kulturellen Identität. Neben „Klaasohm“ setzt sich der Verein auch für andere kulturelle und sprachliche Traditionen ein, wie das Börkumer Platt oder traditionelle Tänze, die oft öffentlich präsentiert werden. „Aber einmal im Jahr feiern wir für uns – ohne touristische Begleitung“, sagt der Verein.

Kritik ernst nehmen – Tradition respektieren

Der jüngste Fernsehbericht im NDR hat einige Insulanerinnen und Insulaner enttäuscht, da er nach Ansicht vieler Beteiligter ein verzerrtes und einseitiges Bild des Festes vermittelt. „Ein Bild von einem Fest, welches sich bereits seit Jahren gewandelt hat. Die im Bericht gezeigten Ausschnitte, möchten wir nicht dementieren. Das vereinzelt solche Taten verübt worden sind, wurde nicht zu 100% verhindert. Dieser Tatsache muss der Verein sich stellen. Dazu gehört auch, diese Vergangenheit aufzuarbeiten und zu sagen, dass sich die Tradition in diesen Punkten zu langsam gewandelt hat“, erklärt der Vorstand des Verein Borkumer Jungens e.V. 1830. Seit mehreren Jahren befindet man sich in einem Generationenwechsel und ist sich der Verantwortung für die Bewahrung der Tradition unter Berücksichtigung keinerlei Ausübung von Gewalt bewusst ist.

Was bedeutet Klaasohm für „mich“?

Diese Frage hat sich nicht nur der Vorstand des Vereins gestellt und dazu einen plattdeutschen Bericht in der Ausgabe von Borkumerleben vom 27.11.2024 in Vorbereitung auf Klaasohmfest 2024 veröffentlicht. Die Frage stellen sich alle weiblichen und männlichen Einheimischen. In einem Auszug aus dem plattdeutschen Bericht heißt es: „Klaasohm ist für mich mehr als nur ein Feiertag – es ist ein lebendiger Ausdruck unserer Gemeinschaft und ein fester Bestandteil des Borkumer Lebens. Schon im November dreht sich alles um die Vorbereitungen: Gespräche auf den Straßen, Kinder, die das erste Mal richtig begreifen, was am 5. passiert, und die aufgeregte Stimmung bei den Älteren, die auf ihre Erinnerungen zurückblicken. Es ist eine Zeit, in der die ganze Insel zusammenkommt. Am großen Tag selbst stehen Begegnungen und Gemeinschaft im Mittelpunkt. Man trifft alte Freunde, Familie und manchmal sogar Menschen, mit denen man sonst kaum zu tun hat. Jeder erinnert sich an sein erstes Klaasohm oder weiß, wer aus der Familie schon einmal gelaufen ist – eine Ehre, die bis heute stolz macht. Für einen Tag treten die Sorgen des Alltags in den Hintergrund, und wir genießen einfach das Zusammensein. Klaasohm ist für uns ein Moment, um durchzuatmen, alte Traditionen zu feiern und die Gemeinschaft zu spüren, die uns alle verbindet.“

Enge Abstimmung mit der Stadt Borkum

„Wir verstehen, dass nicht jeder Außenstehende diese Tradition nachvollziehen kann“, sagt Bürgermeister Jürgen Akkermann. „Bei der Kritik ist auch wichtig zu erkennen, dass der Wandel, den das Fest durchlaufen hat und derzeit durchläuft, nicht ignoriert wird. Gewalt darf keine Rolle spielen und genau das möchten wir deutlich machen.“ Im Zusammenhang mit dem NDR-Bericht möchten die Verantwortlichen (Stadtverwaltung Borkum, Verein Borkumer Jungens e.V. 1830 und Borkumer Medien) klarstellen, dass ein schriftliches Statement an das Fernsehteam übermittelt wurde. „Es ist bedauerlich, dass diese Stellungnahme im Beitrag nicht in der Art und Weise berücksichtigt wurde, wodurch sich der ‚falsche‘ Eindruck verstärkt hat, die Borkumer Institutionen würden sich einer öffentlichen Diskussion entziehen“, betont ein Sprecher des Vereins Borkumer Jungens e.V. 1830.

Wie bereits durch den Verein beschrieben, liegt der Fokus der zurückhaltenden Kommunikation nicht auf Vertuschung, sondern auf dem Schutz des Festes vor einer Kommerzialisierung: „Klaasohm ist kein touristisches Event, sondern eine tief verwurzelte Tradition, die wir aus ihrer ursprünglichen Form in die Gegenwart transformieren möchten“, heißt es weiter. Dabei wird hervorgehoben, dass die Inselgemeinschaft seit Jahren bewusst daran arbeitet, das Fest in den kritisierten Punkten anzupassen, ohne dabei die kulturelle Identität zu verlieren. Die Inselgemeinschaft ist bereit, diesen Dialog zu führen. In einer gemeinsamen Stellungnahme mit der Stadt Borkum und den Borkumer Medien heißt es von Vereinsseite: „Wir nehmen die Kritik und die Reaktionen ernst und stehen dem Wandel und der damit verbundenen Diskussion offen gegenüber. Gleichzeitig bitten wir darum, den kulturellen Hintergrund und die Bedeutung dieses Festes für die Insulanerinnen und Insulaner zu respektieren und nicht alles kaputtzureden. Unser Fest hat sich bereits in den letzten Jahren stark gewandelt. Es ist ein Fest für die gesamte Insel. Während die Stimmung in den Häusern und Kneipen bereits ein fröhliches Miteinander widerspiegelt, gilt das auch für die Straßen, in denen Borkumer Frauen und Mädchen selbstverständlich mitfeiern sollen, während die Klaasohms durch sie ziehen. Und dabei darf man nicht vergessen, dass die jahrelange Arbeit in der Vorbereitung und den Ablauf des Festes durch Mütter, Töchter und Schwestern geleistet wurde“, dankt der Vorstand an dieser Stelle den Frauen auf der Insel.

29. November 2024 / VBJ